Studie der Unternehmensberatung Kearney
Riesiges Marktpotenzial für nachhaltige Produkte
Die meisten Verbraucher in Deutschland wollen nachhaltige Produkte kaufen. Die Hersteller nutzen das Marktpotenzial allerdings nur zu einem Drittel, indem sie die Produkte stark überteuern.
Von Adrian Kasprzak • 25.08.2020

Riesiges Marktvolumen nicht ausgeschöpft: Über die Hälfte der Deutschen möchte nachhaltige Produkte kaufen Bild: PantherMedia / Banoart
Es war Juli 1880, also vor über 140 Jahren, als ein Buch erschien, das Deutschland prägen sollte: »Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache«. Es wurde im Laufe der Jahrzehnte die Grundlage für eine einheitliche deutsche Rechtschreibung. Das Buch existiert auch heute noch. Wir kennen es jedoch unter einem anderen Namen: Duden, benannt nach seinem Autor, dem Gymnasiallehrer Konrad Duden.
Der Duden ist allerdings nicht einfach nur ein Wörterbuch. Er ist ein Spiegel der deutschen Sprache und somit auch der deutschen Gesellschaft. Veraltete Wörter werden herausgenommen, neue Wörter kommen hinzu. Im August erschien die 28. Auflage. Diesmal wurden 3000 Wörter gestrichen und 300 aufgenommen.
Deutsche wollen umweltbewusst leben
Eines der neuen Wörter: Flugscham. Die Deutschen schämen sich, mit dem Flugzeug zu fliegen. Sie wollen die Umwelt nicht belasten und das Klima schützen. Eine nachhaltige, umweltbewusste Lebensweise wird von immer mehr Menschen angestrebt. Und das wird auch beim Einkaufen sichtbar.
Die Unternehmensberatung Kearney hat das Konsumverhalten der deutschen Verbraucher untersucht. Wie der SPIEGEL vorab berichtet, kauft bereits ein Drittel nachhaltige Produkte. 58 Prozent würde künftig gerne nachhaltig einkaufen, tut es allerdings noch nicht.
Riesiges Potenzial für nachhaltige Produkte
*Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Kearney, die dem SPIEGEL vorliegt. Restliche Antworten hat der SPIEGEL weder im Originalartikel erläutert noch auf Nachfrage per E‑Mail. Kearney hat auf eine E‑Mail-Nachfrage vom 24.08.2020 zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht geantwortet. Die Daten erscheinen bei Zeiger über oder Tipp auf die Grafik. Angaben in Prozent.
Quelle: »Überzogene Preise: Industrie und Händler verhindern Erfolg von Bioprodukten« (€) auf spiegel.de, vom 21.08.2020, abgerufen am 22.08.2020.
Die ökologischen Konsumwünsche von mehr als der Hälfte der deutschen Verbraucher wurden bislang noch nicht befriedigt. Bei einer Bevölkerung von 83 Millionen Menschen ist dies ein riesiges Marktvolumen, das noch nicht ausgeschöpft wurde. Doch warum?
Interessanterweise sind die Menschen laut Kearney sogar einverstanden mit Mehrkosten. 80 Prozent der Verbraucher in Deutschland akzeptieren einen Preisaufschlag für umweltbewusste Waren. Fast drei Viertel von ihnen, so DER SPIEGEL, also knapp 60 Prozent der Deutschen, sei allerdings für einen maximalen Preisaufschlag von nur zehn Prozent.
Deutsche für Ökoaufschlag
80 Prozent der Verbraucher in Deutschland sind bereit, mehr für nachhaltige Produkte zu bezahlen. Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Kearney.
Quelle: »Überzogene Preise: Industrie und Händler verhindern Erfolg von Bioprodukten« (€) auf spiegel.de, vom 21.08.2020, abgerufen am 22.08.2020.
Ist das realistisch? Ist der Wunsch eines kleinen Preisaufschlags von zehn Prozent mit einem nachhaltigen Konsumverhalten vereinbar? Hierzu hat Kearney die Herstellerseite betrachtet. Es stellt sich heraus, dass die Produktion von nachhaltigen Waren (ohne Zertifizierungskosten) tatsächlich auch nur zehn Prozent teurer ist als die herkömmlicher Waren.
Warum kauft also die Hälfte der Deutschen nicht wie gewünscht ökologisch bewusst ein? Die mögliche Antwort: Die Hersteller überteuern die Preise. Im Schnitt schlagen sie nämlich 85 Prozent auf den Preis drauf. Bei einigen Branchen seien es laut SPIEGEL teils sogar mehr als 150 Prozent Preisaufschlag.
Überzogene Preisaufschläge für Nachhaltigkeit
Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Kearney. Die höheren Produktionskosten sind exklusive noch nötiger Zertifizierungen.
DER SPIEGEL schreibt: »Tatsächlich seien umweltfreundliche Waren im Schnitt bis zu 85 Prozent teurer als herkömmliche. Modefirmen sowie Anbieter von Kosmetik- und Gesundheitsartikeln schlügen teils sogar mehr als 150 Prozent auf.« Genauere Zahlen und Aufschlüsselungen werden nicht genannt. Offensichtlich handelt es sich um gerundete Werte. Unklar ist, warum drei Ausreißerbranchen zusammengefasst wurden, um dann doch getrennt betrachtet zu werden (»teils sogar mehr als 150 Prozent«). Eine Nachfrage dazu hat der SPIEGEL inhaltlich nicht beantwortet und auf die anstehende Veröffentlichung der Studie durch Kearney verwiesen. Kearney hat auf eine E‑Mail-Nachfrage zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht geantwortet. Die Daten erscheinen bei Zeiger über oder Tipp auf die Grafik. Angaben in Prozent.
Quelle: »Überzogene Preise: Industrie und Händler verhindern Erfolg von Bioprodukten« (€) auf spiegel.de, vom 21.08.2020, abgerufen am 22.08.2020.
Den Herstellern kann man nicht vorwerfen, dass sie lieber auf weniger Umsatz aber dafür zu höheren Margen setzen. Das ist Marktwirtschaft. Marktwirtschaft heißt aber auch, solche ungenutzten Potenziale zu nutzen. Denn Marktwirtschaft ist auch Darwinismus – und nur wer sich anpassen kann, wird überleben.
Dem Trend Nachhaltigkeit entkommen wir nicht, indem wir ihn ignorieren und künstlich die Preise hochtreiben. Jetzt ist die Chance für nachhaltige Produkte. Weil die Welt auf Nachhaltigkeit setzen wird und auf die Nachhaltigkeit setzen muss. Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend, Nachhaltigkeit ist unsere Zukunft.
Was können Unternehmen tun?
Verantwortungsvolle Manager können nun handeln. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um die Studie aus Unternehmenssicht richtig zu deuten und daraus Gewinn zu schlagen.
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Alt eingesessene Unternehmen können neben ihren bisherigen Produkten neue, nachhaltige Produkte einführen. Sie können neue Produktlinien schaffen. Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist sicher von Vorteil, notfalls tut es eine – ernst gemeinte – Stelle eines Nachhaltigkeitsbeauftragen. Je unabhängiger die zuständigen Personen von der traditionellen Unternehmensorganisation sind, desto erfolgreicher dürften sie werden. Ein Inkubator oder gar eine Ausgründung sind durchaus sinnvolle Lösungen.
Eines dürfen die Unternehmen nicht vergessen. Spätestens in den gesättigten Märkten von heute heißt es: Der Kunde ist König. Wer seinen Wunsch ignoriert, wird langfristig nicht zu den Gewinnern zählen. Wer seinen Willen ernst nimmt, dürfte wie Amazon mit seiner Kauffreude beglückt werden. Und es gibt andere Beispiele.
Die Wurst gehört zu den ungesündesten Lebensmitteln überhaupt. Manche sagen, es ist die Zigarette von morgen. Wir könnten meinen, dass ein Unternehmen, das sogar vor der Veröffentlichung der ersten Duden-Auflage im Jahr 1834 gegründet wurde, Schwierigkeiten haben dürfte mit Veränderung. Nicht so die Rügenwalder Mühle, ein Unternehmen, das spezialisiert ist auf die Wurstherstellung. Es hat erfolgreich eine Produktlinie mit veganen Produkten eingeführt, quasi Wurst aus Gemüse. Und jetzt baut es auch noch eigenes Soja an – mitten in Deutschland. Disruptive Innovation wird hier belohnt.